Februar 2023 – Seit rund einem Jahr führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Die Konsequenzen für Land und Leute sind teils katastrophal. Auch die Wirtschaft rund um den Globus bekommt den Konflikt zu spüren. Aus humanitärer Sicht sind zwei Auswirkungen besonders gravierend: die Engpässe bei der weltweiten Nahrungsmittelversorgung und der Anstieg der Lebensmittelpreise. Grund dafür ist die Verteuerung von Energie und Rohstoffen. Nun wurden Vermutungen laut, dass die Branche selbst die Preise antreibe – die Rede ist von einer „Gewinninflation“. Frank Liebold, Country Director Deutschland von Atradius, hält energisch dagegen: „Der Lebensmittelsektor profitiert nicht von den hohen Preisen – er steht unter großem Druck.“
Lebensmittelpreise kletterten um 30 Prozent
„Im ersten Halbjahr 2022, also unmittelbar nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, stiegen die Lebensmittelpreise um 30 Prozent“, präzisiert Liebold unter Berufung auf aktuelle Daten von Oxford Economics. Entscheidende Faktoren waren die vorübergehenden Ausfuhrstopps von ukrainischem Getreide und die damit einhergehende Verknappung des Angebots. Obwohl inzwischen wieder Getreide exportiert wird, liegen die Kosten weiterhin um 20 Prozent höher als im Vorjahr. Eine Gewinninflation im Lebensmittelbereich ist jedoch nicht als Grund. „Vielmehr sehen wir klare Hinweise, dass der Sektor wirtschaftlich unter Druck steht – und zwar nicht nur auf der Produktions-, sondern auch auf der Abnehmerseite“, erläutert Liebold.
Daten zu Zahlungsausfällen liefern Fakten
Daten zu Zahlungsausfällen sind wichtige Indikatoren. Sie zeigen, wie es beispielsweise der Lebensmittelbranche derzeit wirklich geht. Im Januar 2023 stiegen allein bei Atradius die Nichtzahlungsmeldungen bei Lieferungen an deutsche Lebensmittelfirmen um 20 Prozent an, verglichen mit dem Vorjahresmonat. „Je mehr Unternehmen von ihren Abnehmern nicht oder verspätet bezahlt werden, desto mehr gefährdet dies die Liquidität der Firma selbst“, weiß der Experte. „Bleiben Rechnungen im größeren Umfang langfristig unbezahlt, kann das existenzbedrohend werden.“
Extreme Energiepreise belasten die Produktion
Auf der Produktionsseite schlagen nach wie vor die exorbitanten Energiepreise zu Buche. Um beim Beispiel Landwirtschaft zu bleiben: 13 Prozent der globalen Düngemittel kamen vor dem Krieg aus Russland und der Ukraine – hier klafft nun eine große Versorgungslücke. Parallel dazu ging aufgrund der hohen Energiepreise die europäische Produktion von Ammoniak, das für die Düngemittelherstellung gebraucht wird, seit August 2022 um 70 Prozent zurück.
Beide Entwicklungen treiben zwangsläufig die Kosten nach oben und bedrängen die globale Nahrungsmittelversorgung. Liebold prognostiziert: „Ich rechne damit, dass die Knappheit an Düngemitteln dieses Jahr spürbare Auswirkungen auf die Ernteerträge in Europa und Afrika haben wird.“