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Asiens Pharmaindustrie weiterhin im Aufwind

Der Druck auf andere Länder wächst: Medikamente sind derzeit noch unter den Top 5 Exportgütern Deutschland

März 2022: Asiens Pharmakonzerne machen den deutschen Traditionsfirmen zunehmend Konkurrenz. „Das Wachstum der deutschen Medikamenten-Hersteller wird im kommenden Jahr sinken – trotz positiver Risikobewertungen“, folgert Michael Karrenberg, Regional Director Risk Services Germany, Central, North, East Europe & Russia/CIS bei Atradius. Eine Analyse des internationalen Kreditversicherers belegt eine deutliche Kräfteverschiebung.

Deutsche Pharmabranche in den letzten Jahren mit sattem Plus

Die Pharmaindustrie ist eine der wichtigsten Säulen der deutschen Wirtschaft. 2021 wurden pharmazeutische Erzeugnisse mit einem Volumen von 102 Milliarden Euro exportiert – ein Plus von 15,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit rangieren Pharmaprodukte unter den Top 5 der wichtigsten Exportwaren Deutschlands.

„In den vergangenen zwei Jahren war die Wertschöpfung der Pharmaproduzenten in Deutschland und einigen weiteren Ländern ungewöhnlich hoch. Das lag besonders am dringenden Bedarf von Covid-Impfstoffen – das derzeit schwächere Wachstum überrascht grundsätzlich nicht“, erläutert Michael Karrenberg. Die Entwicklung der Pandemie allein erklärt diesen Trend jedoch nicht: „Zum einen bleibt der Bedarf an Covid-Impfstoffen, denn das Virus wird uns weiterhin begleiten. Zum anderen sind die Wachstumsprognosen für Asien deutlich höher als bei uns – hier verschieben sich die Kraftverhältnisse.“

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Pharmawachstum in Deutschland und USA schwächt sich ab

Im Jahr 2021 betrug das Gesamtwachstum der deutschen Pharmaunternehmen 5,2 Prozent und damit 0,7 Prozentpunkte mehr als 2020. Dieser Zuwachs wird sich laut Atradius bis 2023 auf 2 Prozent abschwächen. Ähnlich sieht es in den USA aus, dem größten Pharmaproduzenten der Welt. Die Branche legte 2021 um 11,9 Prozent zu. Doch bis 2023 wird sich das Wachstum wohl auf 2,2 Prozent dämpfen. Gleichzeitig vergibt Atradius für die pharmazeutische Industrie in den USA sehr gute Risikobewertungen. Michael Karrenberg: „Die betriebswirtschaftlichen Aussichten der Firmen sind stabil, die Liquidität ist hoch und das Insolvenzrisiko niedrig. Dennoch wird die Wertschöpfung laut Prognose sinken.“

Europa und USA: Hoher Druck durch das Auslaufen wichtiger Patente

Auslaufende Patente in Europa und den USA sind laut Michael Karrenberg einer der Gründe für die geringere Wertschöpfung. „Die 15 wichtigsten Blockbuster-Patente laufen in den nächsten zehn Jahren aus“, weiß der Atradius-Manager. Um gegenzusteuern, steigen voraussichtlich die Forschungsausgaben. Falls die Hersteller nicht gleichzeitig Kosten senken und so die Bruttomargen erhöhen, riskieren sie Einbußen bei den Gewinnen.

Auch neue Regularien und stärkerer Preisdruck könnten die Wertschöpfung in den kommenden Jahren bremsen. Zudem erhöhen künftige Handelsbarrieren das Risiko auch für deutsche Firmen. Europäische Länder exportieren zwar weltweit die meisten Medikamente – viele wichtige Arzneien oder Arzneimittelbestandteile werden allerdings nicht in Europa produziert. Eine Unterbrechung der Lieferketten hätte erhebliche Auswirkungen. Daher plant die EU, die Produktion bestimmter Wirkstoffe wieder in die Union zurückverlagern.
 

 Asien hält fast zwei Drittel aller wichtigen Wirkstoffzertifikate

„Insbesondere weniger komplexe, aber trotzdem wichtige Präparate wie Antibiotika oder Blutdruckmedikamente kaufen europäische Händler günstiger in Asien ein“, sagt Michael Karrenberg. „Das macht Europa abhängig von Asien, was vor allem in den vergangenen zwei Jahren während der Lieferkettenunterbrechungen problematisch war.“

Darüber hinaus sei eine Umkehrung des Kräfteverhältnisses zwischen Europa und Asien zu beobachten. Asien hält mittlerweile mehr Wirkstoffzertifikate als Europa: Im Jahr 2000 wurden noch 59 Prozent aller Zertifikate von in Deutschland verwendeten Wirkstoffen in Europa gehalten und nur 31 Prozent in Asien. 2020 hatte Asien 63 und Europa nur noch 33 Prozent.

China und Indien entwickeln mehr komplexere Pharmazeutika

Bislang produzierten die Hersteller in Asien vor allem Generika einfacher Wirkstoffe. Die Entwicklung komplexer Pharmazeutika nimmt jedoch in Indien und insbesondere in China zu. „Chinas Regierung versucht mithilfe neuer Richtlinien, die Branche zu konsolidieren und die durchschnittliche Größe der Unternehmen zu erhöhen“, so Karrenberg. „Wir rechnen damit, dass chinesische Produzenten in den kommenden Jahren ihre F&E-Investitionen und die Produktqualität steigern. Sie dürften somit europäischen Herstellern noch mehr Konkurrenz machen.“

Die zunehmende Bedeutung Asiens in der globalen Arzneimittelproduktion spiegelt sich in aktuellen Zahlen wider. Laut dem Atradius-Report „Industry Trends Pharmaceuticals“ legte die Pharmabranche in Indien von 4,9 Prozent in 2021 auf mehr als 6 Prozent in den Jahren 2022 und 2023 zu. Auch China dürfte zu den Gewinnern zählen. Obwohl das Wachstum für pharmazeutische Produkte von 10 Prozent in 2022 wohl auf etwa 6,8 Prozent im Jahr 2023 sinkt, liegt das Reich der Mitte deutlich über den Prognosen der westlichen Wettbewerber. Atradius bewertet die Ausfallrisiken in beiden Ländern als gut. Lediglich Indiens Pharmagroßhändler sowie Indiens und Chinas Apotheken erhalten ein „befriedigend“.

Globale Nachfrage nach Medikamenten steigt, ebenso der Preisdruck

Weltweit schätzt Atradius die Pharmabranche als stabil ein und verleiht den pharmazeutischen Produzenten der untersuchten Länder gute bis sehr gute Ratings. Zwar variiert die durchschnittliche Zahlungsdauer: In Deutschland beträgt sie 30 bis 60 Tage, in China 60 bis 90 Tage. Selten jedoch kommt es zu Zahlungsausfällen, bei wenig Insolvenzen.

Auch für die kommenden Jahre rechnet Atradius mit einer geringen Ausfallquote. Gründe sind eine hohe Bereitschaft von Banken und Investoren zur Kapitalvergabe sowie globale Indikatoren für höheren Bedarf weltweit. „Die Nachfrage nach Pharmazeutika wird in den kommenden Jahren vor allem in den Wohlstandsgesellschaften mit alternder Bevölkerung wie Europa und den USA steigen sowie mit wachsendem Haushaltseinkommen in China und Indien“, prognostiziert Michael Karrenberg. Besonders Medikamente gegen chronische Erkrankungen stünden hoch im Kurs.

„Die Frage bleibt dennoch, wer am Ende die steigende Nachfrage bedienen wird. Europäische Pharmafirmen arbeiten technisch und wissenschaftlich traditionell auf hohem Niveau. Doch China und Indien haben in vieler Hinsicht längst aufgeholt. Auch hier schreitet die Erforschung neuer und komplexerer Wirkstoffe in hohem Tempo voran. Am Ende könnte daher die Kostenfrage den Wettbewerb entscheiden, und hier ist Asien bislang im Vorteil“, urteilt der Atradius-Manager.

 

Noch mehr Ausblicke und Einblicke

Die Publikationen von Atradius geben einen Überblick über die Wirtschaftslage in mehr als 40 Ländern sowie Ausblicke auf den Handel wichtiger Industrien.

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